Aus, vorbei, Stecker raus – nach heldenhaftem Kampf hat das Sommermärchen der deutschen FuĂball-Nationalmannschaft ein  dramatisches und tragisches Ende genommen. Der dreimalige Europameister verlor gegen den ewigen Angstgegner Spanien im Viertelfinale 1:2 nach Verlängerung und spielt im letzten Kapitel seiner Heim-EM keine Rolle mehr. Das kämpferisch Ăźberragende Team von Bundestrainer Julian Nagelsmann setzte der spielerischen Extraklasse des groĂen Turnierfavoriten in Stuttgart viel Mut und Leidenschaft entgegen, kam kurz vor dem Abpfiff zurĂźck – und war am Ende doch geschlagen.
Aus in der Verlängerung
Nagelsmann und die Mannschaft verabschiedeten sich enttäuscht, aber erhobenen Hauptes von ihren Fans, fĂźr einige war es wohl das letzte Mal. Zumindest die Welt-Karriere von Toni Kroos ist beendet – nach 114 Länderspielen und insgesamt 34 Titeln blieb dem erfolgreichsten deutschen FuĂballer jemals der EM-Pokal verwehrt. Seinen Vertrag bei Real Madrid hatte der 34-Jährige nicht mehr verlängert. FĂźr Manuel Neuer und Thomas MĂźller kĂśnnte es zudem das letzte Länderspiel gewesen sein: das Ende einer Ăra.
Nagelsmann sitzt fest im Sattel. Ohnehin läuft sein Vertrag bis zur WM 2026, er kann in der Analyse darauf verweisen, der Mannschaft Stabilität gegeben und ein mitreiĂendes Team aufgestellt zu haben. Deutschland hat die Fans begeistert, nicht nur, aber besonders beim 5:1 gegen Schottland im ErĂśffnungsspiel. Das ehrenhafte Aus gibt wenig Anlass zur Kritik: Noch im November hatte die DFB-Elf komplett am Boden gelegen. Julian Nagelsmann kann Nationalmannschaft, auch wenn es im Viertelfinale nicht gelang, eine „alte Festplatte“ zu Ăźberschreiben.
Ebendies hatte der Bundestrainer seiner Mannschaft nach den vielen bitteren Niederlagen gegen Spanien aufzutragen versucht. Das EM-Finale 2008, das WM-Halbfinale 2010, das blamable 0:6 in der Nations League 2020 waren unvergessen – nun ist der Status des Angstgegners zementiert.
AufstellungsĂźberraschung mit Can und SanĂŠ
Nagelsmann wartete in Stuttgart mit einer dicken AufstellungsĂźberraschung auf. Dass Jonathan Tah nach Gelbsperre zurĂźckkehrte, war erwartet worden, Leroy Sane hatte schon im Achtelfinale gegen Dänemark (2:0) anstelle von Wirtz begonnen. Aber der nachnominierte Emre Can neben Kroos? Das war ein Ding! Robert Andrich, frisch pink gefärbt auf dem Kopf, saĂ auf der Bank. Nagelsmann begrĂźndete dies mit Cans Schnelligkeit, er forderte „den Mut“ ein, „an uns zu glauben“.
Nach einem Gebet vor dem Anpfiff aber leistete sich Can sofort den ersten Ballverlust, nach nur 53 Sekunden gab Pedri den ersten Schuss zentral auf Neuer ab. Kurz darauf musste der Zauberer vom FC Barcelona den Platz verlassen: Kroos hatte ihn hart gefoult, kam aber ohne Karte davon. Der spätere Torschßtze Olmo (RB Leipzig) ersetzte Pedri, der den Tränen nahe war.
Im Mittelfeld begann die erwartete Schlacht um den Ballbesitz, die Spanien mit Olmo, dem Ausnahmesechser Rodri und dem von Can eng bewachten Fabian Ruiz fßhrte. Kroos und Gßndogan hielten dagegen, doch das spanische Pressing war stark. Supertalent Lamine Yamal, gerade 16 Jahre alt, setzte einen Freistoà klar daneben (15.), Ruiz schoss ßbers Tor. Die beste Nachricht war: Die erhofften Räume hinter den gegnerischen Ketten gab es tatsächlich, David Raum brachte aber von links zwei Hereingaben nicht an den Mann. Kai Havertz platzierte einen ersten Kopfball gut aufs Tor (21.).
Die deutsche Mannschaft erholte sich ein wenig, als Spanien die Pressingschrauben lĂśste, setzte sich mal Ăźber Standards fest. Doch sobald der Ball im Spiel war, agierte der Favorit zumeist Ăźberlegen, Can hingegen hatte aus Dortmund bekannte Probleme mit der Ballsicherheit. In der Abwehr spielten Raum und RĂźdiger frĂźh verwarnt. Neuer tauchte gegen Nico Williams meisterhaft ins kurze Eck ab – es war aber Abseits (36.). Einen Olmo-Gewaltschuss lieĂ er nach vorne prallen (39.).
Nagelsmann korrigierte seine Entscheidungen: Wirtz und Andrich kamen positionsgetreu fĂźr Can und Sane, doch es spielte: Spanien. Alvaro Morata (47.) drehte sich um Tah, da fehlte nicht viel – dann allerdings kam Andrich nach einem Yamal-Querpass zu spät gegen Olmo, der aus rund 15 Metern flach einschob. Der deutsche „KumpelfuĂball“ kam auf den härtesten PrĂźfstand, fast nichts war mehr „vĂśllig lĂśsgelĂśst“. FĂźllkrug sollte im Strafraum nun neben Havertz eine der vielen Flanken verwerten, und Nagelsmann lieĂ pressen.
Es entstand eine mächtige deutsche Druckphase, in der Carvajal in hĂśchster Not in einen Havertz-Schuss grätschen musste. Spaniens TorhĂźter Unai Simon flog einem Ball von Andrich hinterher, FĂźllkrug traf aus kurzer Distanz den Pfosten (77.), Havertz lupfte Ăźber die Latte (82.). Dann begann das Drama der Verlängerung: mit einem ganz bitteren Ende. Dabei hätte es nach einem Handspiel von Marc Cucurella (106.) sogar Elfmeter geben kĂśnnen – der englische Schiedsrichter Anthony Taylor entschied sich dagegen.